Minensuche auf vier Pfoten

Von Arno Mayer · · 2005/06

In Mosambik werden erstmals Ratten erfolgreich für die Minensuche eingesetzt. Die Tiere sind zuverlässige Schnüffler und einfacher zu halten als Hunde. Ein spezielles Training macht sie zu Stars in einem gefährlichen Gewerbe.

Minensucher leben gefährlich. Ein falscher Tritt und die tückischen Sprengkörper fliegen in die Luft – meistens mit schrecklichen Folgen für Leib und Leben. Das kann den neuen Stars im Gewerbe allerdings nicht passieren. Sie sind nur eineinhalb Kilo schwer und damit zu leicht, um eine Explosion auszulösen. Die Rede ist hier von den afrikanischen Gambia-Riesenhamsterratten (Cricetomys gambianus), die seit Anfang des Jahres erstmals in Mosambik als Minenschnüffler eingesetzt werden.
Es ist früher Morgen in Vilanculo – einem verschlafenen Fischerstädtchen, 800 Kilometer nördlich von Mosambiks Hauptstadt Maputo. Fünfzehn Autominuten vom Ortskern entfernt liegt ein noch nicht geräumtes Minenfeld. Ruta und drei andere Riesenhamsterratten schlafen – auf Holzspänen weich gebettet – in ihren Käfigen und lassen sich durch die Geräusche um sie herum nicht stören. Ruta blinzelt erst in die Morgensonne, als sein Trainer ihn behutsam aus dem Käfig holt und ihm einen maßgeschneiderten kleinen Gurt anlegt. Dann geht es auf genau markierten, schon entminten Wegen zum heutigen „Arbeitsplatz“ – einem säuberlich abgesteckten Areal von zehn Mal zehn Metern.
Zwei Minenräumer in Schutzkleidung spannen auf der einen Seite des Quadrates ein Seil, indem sie es an ihren linken Unterschenkeln befestigen und sich gegenüber aufstellen. Ruta wird an das Seil angeleint. Ohne zu zögern beginnt die Ratte am Seil entlang von dem einen Mann auf den zehn Meter entfernten anderen zuzulaufen. Sie schnüffelt dabei intensiv am Boden, dreht um, geht wieder nach vorne, die Nase knapp über der grasbewachsenen Erde. Plötzlich bleibt sie stehen und fängt an zu kratzen. Für Rutas Trainer ist das ein Zeichen, dass die Ratte eine Mine entdeckt hat. Ein dritter Mann markiert die genaue Stelle, damit die Ladung später mit einem Räumgerät aus dem Boden herausgeholt und unschädlich gemacht werden kann. Der Minensucher auf vier Pfoten bekommt zur Belohnung ein Stückchen Banane und macht sich sofort wieder an die Arbeit. Die Minenräumer haben inzwischen das Seil um einen halben Meter weiter gespannt. Ruta ist zwar eifrig bei der Sache, aber ab und zu muss auch eine kleine Pause gemacht werden. Dann setzt sich die Ratte gemütlich hin und unterzieht ihren Kopf mit den Pfoten einer gründlichen „Wäsche“.

Minenräumen ist nicht nur ein äußerst gefährliches, sondern auch ein mühseliges und teures Geschäft. Die billigsten Sprengkörper kosten die Produzenten gerade mal einen Euro. Die Räumung verschlingt dagegen bis zu 700 Euro pro Stück. Wer eine preiswerte Minenräummethode erfände, könnte damit Riesensummen verdienen. Zwar weiß niemand genau, wie viele Landminen weltweit vergraben sind. Die Schätzungen bewegen sich aber zwischen 50 und 100 Millionen. Um sie alle unschädlich zu machen, sind Hunderte von Jahren nötig. Bisher wurden zur Räumung Menschen, Hunde und Maschinen eingesetzt. Maschinen funktionieren allerdings nur auf ebenem Gelände. Seit kurzem mischen nun auch die Ratten bei der Minensuche mit und zwar mit beträchtlichem Erfolg. Die Idee dazu hatte der Belgier Bart Weetjens, ein gelernter Ingenieur für Produktdesign, dem seine Arbeit im Büro nicht mehr gefiel. Von klein auf hielt er sich Mäuse und Ratten. Eines Tages las er von einem US-amerikanischen Experiment. Mongolische Wüstenrennmäuse wurden als Minenschnüffler getestet, wobei ihnen eine Elektrode ins Gehirn eingeführt wurde. Weetjens fragte sich, ob sich die Methode nicht auch auf Ratten übertragen ließe, allerdings ohne etwas in ihre Köpfe einzupflanzen. Der Belgier kündigte seinen Job und begann zu forschen. Es dauerte Jahre, in denen er zunächst von Sozialhilfe lebte, ehe er mit Hilfe von Biologen ein Verfahren entwickelt hatte, das die afrikanische Gambia-Riesenhamsterratte als geeignete Minensucher qualifizierte.

Ratten haben im Minengeschäft gegenüber Hunden entscheidende Vorteile. Ihr Geruchssinn ist genau so hoch oder noch höher entwickelt, aber ihr Training kostet nur ein Zehntel der Summe, die für Hunde ausgegeben werden muss. Sie fressen weniger, vermehren sich rascher, sind einfach zu transportieren und zu halten. Sie passen sich ihrer Umgebung sehr rasch an und sind nicht nur auf einen Trainer fixiert. Die von Weetjens ausgewählte Gambia-Variante ist etwa so groß wie eine kleine Katze. Auffällig sind ihr langer, zur Hälfte weißer Schwanz und ihr ebenfalls heller Bauch. So lange die Ratten hungrig sind, konzentrieren sie sich völlig auf ihre Arbeit. Das Abschnüffeln einer „Box“ von 100 Quadratmetern dauert nicht länger als 30 Minuten. Um ganz sicher zu gehen, dass keine der Ratten eine Mine verpasst, lassen die Trainer jedes Minenstück von zwei bis drei Tieren überprüfen.
Bisher ist es noch nicht vorgekommen, dass die Nager vergrabenes TNT nicht entdeckt hätten. Die herkömmlichen Minensuchgeräte schlagen bei jedem Stück Metall Alarm, das im Boden liegt. Und das erschwert die Räumung ganz erheblich, weil – wie zum Beispiel in Vilanculo – massenweise Patronenhülsen und Metallsplitter im Boden liegen.
Die von Weetjens und seinen Freunden gegründete Organisation mit der flämischen Abkürzung „Apopo“ (Produktentwicklung für die Beseitigung von Anti-Personen-Minen) wird unter anderem von der belgischen Regierung, der Europäischen Union und anderen Gebern finanziert. Apopo arbeitet eng mit der Universität von Tansania zusammen, wo das Training der Ratten begonnen hatte. Demnächst sollen sie im Sudan eingesetzt werden. Anfragen liegen bereits auch aus Angola und Kambodscha vor.
Mosambik gehört zu den am meisten verminten Ländern. Während des 16-jährigen Bürgerkrieges, der 1992 endete, wurden über eine Million der gefährlichen Sprengkörper verlegt. Tausende von Menschen wurden durch die Minen getötet oder zu Krüppeln gemacht. In Vilanculo, wo seit November vorigen Jahres nach Minen geforscht wird, kam einer der Räumer ums Leben, als ein Sprengsatz explodierte.
Von 1997 bis 2003 wurden in Mosambik nach offiziellen Angaben rund 30.000 Minen entschärft und so 35,6 Quadratkilometer Land der verseuchten Fläche wieder zugänglich gemacht. Noch immer sind aber 346 Quadratkilometer vermint. Rund eine Million von Mosambiks insgesamt 19 Millionen EinwohnerInnen leben nahe der gefährlichen Landstriche.

Große Fortschritte wurden mit dem 1999 in Kraft getretenen internationalen Vertrag für ein Verbot der Landminen erzielt. Mehr als 140 Staaten haben ihn ratifiziert. Über 1.100 Quadratkilometer sind seit 1999 geräumt worden, doch im selben Zeitraum kamen offiziell 42.500 Menschen bei Minenexplosionen ums Leben. In einem Land wie Mosambik gehören Invaliden, die Gliedmaßen verloren haben, zum Straßenbild.
Die Internationale Kampagne für ein Verbot der Landminen (ICBL) geht davon aus, dass jährlich 15.000 bis 20.000 Minenopfer zu beklagen sind, wobei viele Unfälle nicht gemeldet werden. Seit 1999 sind 62 Millionen Landminen, die in Waffenlagern gehortet waren, vernichtet worden, davon 37,3 Millionen in Vertragsstaaten.
Doch noch immer sind 180 bis 185 Millionen Minen verfügbar, und zwar in jenen Ländern, die den Sperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Zu ihnen gehören China, die USA und Russland – alle drei sind ständige Mitglieder des UN-Weltsicherheitsrates. Es wird angenommen, dass China über 110 Millionen Landminen besitzt, Russland über 50 Millionen und die USA über zehn Millionen. Größere Vorräte haben auch Pakistan (schätzungsweise sechs Millionen), Indien (vier bis fünf Millionen) und Südkorea (zwei Millionen).
Russland und Burma haben seit 1999 immer wieder Landminen verwendet. Nach ICBL-Angaben benutzten aber auch Eritrea, Indien, Irak, Israel, Kirgisien, Nepal, Pakistan, Sri Lanka, Usbekistan und das ehemalige Jugoslawien die gefährlichen Waffen.

Doch zurück zu den Ratten. Weetjens hat mit ihnen große Pläne. Er glaubt, dass sie auch in der Lage sind, Tuberkulose-Bakterien zu entdecken. Jährlich sterben ungefähr zwei Millionen Menschen an der Schwindsucht. Nach Angaben von Weetjens kann ein Laborant pro Tag nicht mehr als 20 Speichel-Proben untersuchen. Eine Ratte schaffe dagegen bis zu 150 Proben in 30 Minuten. Damit würde die TB-Diagnose wesentlich billiger, wovon vor allem die armen Länder profitieren könnten.

Arno Mayer arbeitete 40 Jahre lang für die Deutsche Presse-Agentur, davon 30 Jahre als Auslandskorrespondent, unter anderem in der Sowjetunion, in den USA und im südlichen Afrika. Er bereist regelmäßig Afrika.

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